„Ich in eine Suchtklinik? Über mehrere Monate? NIEMALS!
So ungefähr kann man sich meine Reaktion vorstellen auf die Frage, ob ich in eine Suchtklinik gehen möchte um mich meiner Suchtproblematik zu stellen. Generell stand es sowieso für mich nie zur Wahl mit dem Konsumieren aufzuhören, ich wollte eigentlich nur einen „bewussteren“ Konsum erlernen. Tatsächlich muss ich nun etwas bei diesen Worten schmunzeln…
Nun, ich habe seit meinem 18. Lebensjahr regelmäßig Amphetamine konsumiert. Erst nur an den Wochenenden und später dann auch in verschiedenen Phasen täglich. Und ohne Speed ging ich sowieso nie erst auf eine Party. Alle anderen Partydrogen waren natürlich auch dabei. Klassischer Mischkonsum eben. Doch abhängig war ich von Amphetaminen. Ich liebte das Feiern, den Konsum, die After Hours, die Menschen aus der Szene. Ans aufhören nicht zu denken.
Mit 26 jedoch wollte ich eine ambulante Psychotherapie machen um traumatische Erlebnisse der Kindheit und Jugend aufzuarbeiten. Das diese Erfahrungen der Grund für meinen Konsum sein könnten, war mir damals nicht bewusst. Leider durfte ich nicht an der Therapie teilnehmen, da ich regelmäßig konsumierte und dies auch offen teilte. Ich fand nicht, dass ich ein Problem damit hätte, meine Außenwelt funktionierte ja. Ich ging arbeiten, war zuverlässig, verdiente Geld und hatte genug Zeit zu feiern.
Durch den Konsum sind meine Gefühle zu sehr verfälscht und eine Psychotherapie nicht realisierbar.
Ich sollte eine Drogenberatungsstelle aufsuchen. Eine Drogenberatungsstelle? Ich? Da gehen doch nur Junkies hin, was soll ich denn da? Das fragte ich mich…
Ich kann heute nicht mehr genau sagen, warum ich doch dort angerufen habe und mir ein Erstgespräch vereinbart habe. Ich glaube der Wunsch eine Psychotherapie machen zu können war erstmal größer und ich war neugierig, was mir wohl dort erzählt wird. Doch dieses Erstgespräch hat mein Leben verändert. Ich bin an eine ganz tolle Sozialarbeiterin gekommen, welche mich bei dem
Prozess begleitet und ermutigt hat. Ich bin mir sicher, ohne Sie, hätte ich mich nicht getraut diesen Schritt zu gehen.
Durch die Gespräche im Beratungszentrum, bei denen ich wertschätzend und
respektvoll auf Augenhöhe behandelt wurde und kein bisschen abwertend, ( Dies war im Vorhinein meine Angst- Abwertung , da ich ein Konsument bin ) eröffnete mir sich immer mehr der Gedanke, evtl. doch in eine Klinik zu gehen. Ich hatte jedoch gerade die Zusage für einen Studienplatz bekommen und wollte nicht aus Berlin weg. Doch eigentlich hätte ich genau jetzt auch die Zeit…
Ich fing an mein Suchtverhalten durch die Gespräche zu reflektieren und mir wurde immer klarer, dass ich süchtig bin und etwas ändern möchte. Auch da war noch mein Gedanke, mit etwas bewussterem Konsum wäre ich total happy. Aber nicht ganz aufhören mit dem Speed.
Mir wurde eine Frauenklinik empfohlen, in der Nähe von Freiburg auf einem wunderschönen angelegtem, alten Hof. Doch ich wollte eigentlich nicht in eine Frauenklinik. Ich komme super mit Jungs aus, teilweise besser als mit
Frauen. Ich fühle mich da wohl und würde gerne in eine gemischte Klinik. Meine Sozialarbeiterin riet mir davon ab. Menschen mit einem Suchtproblem sind zu Suchtverlagerungen veranlagt und klammern sich dann oft an etwas anderes. In gemischten Kliniken ist es ganz oft der Fall, dass man sich nicht auf sich selbst konzentrieren kann und seinen Prozess, da man Bestätigung im anderen
Geschlecht sucht. Dies behindert den Heilungsprozess und kann im Falle von sexuellen oder romantischen Handlungen auch zur Entlassung führen. Ich kann diesen Punkt heute absolut nachvollziehen.
Ich vertraute auf die Worte meiner Sozialarbeiterin, da ich dieses Muster auch von mir kannte und es für mich Sinn ergab. Somit stand ich nun auf der Warteliste für einen Rehaklinik für suchtkranke Frauen. Wow. Ich wusste nicht, was mich erwartete, ich hatte Angst und war mir total unsicher, ob ich dort überhaupt hingehöre. Ich machte dies alles mit mir alleine aus, denn aus meiner Familie wusste niemand von meinem Suchtproblem, lediglich meine engsten Freunde informierte ich über den geplanten Klinikaufenthalt. Einige davon auch selbst Konsument*innen, aber alle waren stolz über meine Entscheidung und standen komplett hinter mir.
Die Monate bis zur Aufnahme vergingen langsam, es zog sich sehr und ich wollte tatsächlich einfach nur noch starten. Je länger es dauerte desto größer wurde der Druck für mich. Denn ich entschied mich gegen eine Entgiftung im Krankenhaus und wollte selbstständig entgiften. Dafür müsste ich 1x die Woche zu
einem dafür spezialisierten Hausarzt und Urin vor Ort unter Aufsicht abgeben. Dieser wurde dann auf Substanzen geprüft. Die Kosten dafür musste ich selbst tragen. Die Alternative wäre eine stationäre Entgiftung, womit auch die Gefahr eines Rückfalls sinkt. Ich habe es ohne geschafft und fleißig meine negativen Drogentests an die Klinik geschickt.
Im Oktober 2019 war es dann endlich soweit. Ich war total positiv überrascht. Alle waren super freundlich, aufmerksam und ich fühlte mich direkt wohl. Es gibt auf dem Hof verschiedene Häuser, welche in Stationen unterteilt sind ( es sieht nicht aus wie im
Krankenhaus!! ). Jeder hatte ein kleines feines Einzelzimmer, welches man sich nach der Zeit mit viel selbst gebastelter Deko geschmückt hat. Ich glaube wir waren ca. 8-10 Frauen auf der Station. Es gab auch Stationen, in denen Mütter mit ihren Kindern lebten, welche auf dem Hofeigenen Kindergarten betreut wurden tagsüber. Es waren Mädels ab 18 bei mir in der Gruppe und Frauen bis 65.
Alkoholabhängige Frauen und Drogenabhängige Frauen. Da wurde nicht separiert. Alle hatten das gleiche Problem. Es war für mich total spannend und interessant die unterschiedlichen Menschen und ihre Geschichten kennenzulernen. Unternehmerinnen oder auch frisch entlassene Inhaftierte, welche sich für Therapie zur Strafminderung entschieden haben. Es gab Frauen die freiwillig da waren, wie ich und es gab Frauen, die da sein mussten, um eine Chance auf die eigene Erziehung
ihrer Kinder zu haben. Es war wirklich verrückt, welche unterschiedlichen Persönlichkeiten dort aufeinander trafen. Aber genau diese Vielfalt, hat es für mich ausgemacht. Die Geschichten mancher Frauen haben mich so sehr bewegt und nachhaltig mehr bewirkt, als jede Gesprächstherapie.
Sie zu sehen, Frauen die teilweise durch die Sucht alles verloren haben, sich prostituiert haben, missbraucht wurden und fast gestorben wären an einer Überdosis. Dort möchte ich niemals hin! Man hörte auch erschreckende Geschichten und für mich war es so traurig zu sehen, wo die Sucht hinführen konnte.
Das waren für mich prägnante Einschnitte in meinem Leben.
Man hört auch oft, dass man kein Kontakt zur Außenwelt haben darf in seiner Suchtklinik, um sich vor Rückfällen zu schützen. Nun, bei meiner Ankunft wurde natürlich das Gepäck durchsucht und auch mein Telefonbuch nach auffälligen
Nummern. Alle Nummern von ehemaligen Feierfreunden und Dealern musste ich löschen (dies passiert natürlich auf Vertrauensbasis. Sie können es ja nicht nachweisen und du kannst dir immer wieder die Nummern von Dealern besorgen, aber dann machst du dir ja selbst was vor). Jedoch durfte ich Kontakt zu Freunden, Partner und Familie haben. Schwieriger wird es natürlich, wenn du in einer Partnerschaft bist, in der beide Konsument*innen sind. Aber da verbieten sie dir auch keinen
Kontakt, es wird auf eine Partnerklinik verwiesen für Männer, welche sich in der Nähe befindet, damit beide gemeinsam versuchen können, clean zu werden. Generell ist dort auf dem Gelände auch Handyverbot, jedoch kannst du es auf dem Zimmer nutzen. In den ersten drei Wochen dürfen Frauen mit einer Drogenproblematik auch nicht in das nächste Dorf oder in den Supermarkt, sondern nur mit
bestimmten Patientinnen mittags zu einem Spaziergang in den Wald. Dies soll vor Rückfällen schützen. Patientinnen welche schon länger da sind, bringen dann Besorgungen mit. Nach und nach wird man dann wieder in die Realität hineingeführt. Dafür musst du aber bestimmte Voraussetzungen erfüllen (Suchtverlauf, Therapieziele, Abhängigkeitsverständnis, Lust auf Abstinenz, Selbsteinschätzung). Bei mir ging es relativ schnell, aufgrund eines sehr guten stationären Verlaufes.
Mit Begleitung zum ersten Mal in das nächst größere Dorf und danach mit Begleitung nach Freiburg.
Drogentests werden immer durchgeführt wenn man von solchen Ausflügen wiederkommt. Und wenn dies gut klappt, kannst du diese Ausflüge dann auch alleine durchführen nach individueller Planung.
Nach ca. 6-7 Wochen kannst du dann auch einen Besuch nach Hause planen und dies wird dann auch von der Kasse übernommen (Fahrtkosten). Viele Frauen hatten vor dem Klinikaufenthalt keine wirkliche Struktur und das frühe aufstehen und pünktlich sein, fiel ihnen sehr schwer. Das Frühstück beginnt kurz nach 7 und dann steht den ganzen Tag Programm an. Ergo, Gruppentherapie, Einzelgespräche, Pilatis, Sport, Entspannungsgruppen, Indikationsgruppen, Chor, Arbeitsgruppen (diese kann man selbst wählen- ich habe mich für Gartenarbeit entschieden), Ernährungsvorträge, Selbsthilfegruppen, Soziales Kompetenz Training, Progressive Muskelentspannung, Körper und Kunsttherapie…
Es hört sich viel an und es gibt natürlich Tage, da ist einem das auch alles zu viel, jedoch hilft es auch enorm die Tage zu überbrücken und so vergingen die Wochen dort wie im Fluge. Ich war noch ehrenamtlich als Stationsleitung und Sozialassistentin tätig, die neue Patientinnen zu Ämtergängen begleitet hatte. Ich fühlte mich so wohl dort und blühte total auf. Ich hatte sehr beeindruckende und tolle Frauen um mich herum und wir hatten alle das gleiche Ziel. Fast alle. Immer wieder kommen
Frauen, junge Mädchen, schwangere Frauen welche rückfällig werden oder von heute auf morgen einfach verschwunden sind. Das war leider ein trauriger Teil meines Aufenthaltes.
Ich verbrachte auch Silvester in der Klinik und es war das schönste Silvester seit Jahren und noch immer, nun 4 Jahre später erfüllt mich die Erinnerung mit viel Liebe und Freude an diesen Abend. Wir haben getanzt, gelacht und sooo viel herumgealbert wie ich es schon ewig nichtmehr gemacht hatte. Wir fühlten uns
so unbeschwert an einem so großen Tag, welcher immer mit viel Alkohol und Drogen gefeiert wurde. Wir waren in unserer Bubble und haben bis 02 Uhr getanzt und unser neues Leben gefeiert. (Auch dies muss alles besprochen werden, da Tanzen und Musik zum Trigger werden könnte! ). Für unsere Station war es perfekt <3 .
Für mich eröffneten sich dort neue Aussichten im Sinne meiner Arbeit und
Wohnortwechsel und ich besuchte mehrere Vorstellungsgespräche in einer mir komplett neuen Stadt, in der ich kaum Menschen kannte. Ich konnte dort mein geplantes Studium berufsbegleitend absolvieren und fand direkt eine passende Stelle. Somit durfte ich ( und das auch nur, weil mein Aufenthalt für mich sehr positiv war und ich viel Bereitschaft zur Veränderung zeigte ) nach 3 Monaten die Klinik frühzeitig beenden mit einer Therapie im Anschluss, jedoch nicht mehr in stationärer Form. Der normale Weg wären 6 Monate stationärer Aufenthalt bei Drogenproblematik.
Bei einer Alkoholabhängigkeit sind es 3 Monate, doch es gibt auch individuelle Angebote ( 6 Wochen und im Anschluss Tagesklinik). Es gibt die Möglichkeit im Anschluss an die 6 Monate noch in die Adaption zu wechseln. Ein Haus auf dem Hof, in dem junge Frauen in einer WG leben und wieder durch ein Praktikum an in die Arbeitswelt eingegliedert werden.
Nun habe ich seit Sommer 2019 keine Amphetamine mehr genommen und die Vorstellung nach einem bewusstem Speedkonsum existiert für mich nichtmehr. Ich habe mich für den neuen Weg entschieden. Denn ein Mittelweg bei Sucht gibt es nicht. Ich habe noch viele Freunde, welche regelmäßig Amphetamine konsumieren und ich wurde dem auch schon oft ausgesetzt. Und ich habe angefangen einen richtigen Ekel dafür zu empfinden. Klar fühlt man sich auch manchmal ausgeschlossen, da man früher zusammen konsumiert hat. Aber der Gedanke daran, sich am nächsten Tag nicht so scheiße zu fühlen, zu schlafen, nicht 3 Tage grenzüberschreitend von Party zu
Party zu springen , steht für mich über dem „Gemeinschaftsgefühl zusammen Nasen zu ziehen“.
Ich habe diesen Sommer meinen Abschluss mit 1,0 absolviert und hätte vor 4 Jahren niemals gedacht, dass ich heute an diesem Punkt bin. Sogar ein gemeinsames Therapiegespräch gab es dieses Jahr mit meiner Mutter, in der ich ihr von meiner Abhängigkeit und dem stationären Aufenthalt erzählen konnte. Es hat gedauert und es hat noch einen stationären Aufenthalt in der Psychosomatischen Klinik letztes Jahr gebraucht, aber dann war ich soweit diesen Prozess mit meiner Mutter zu teilen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Punkt irgendwann bei jedem kommt und es
fühlte sich so erleichternd an, nichtmehr diesen Teil meines Lebens verschweigen zu müssen. Denn er ist so wichtig für mich gewesen.
Entscheidungen für den neuen Weg sind oft unsicherer, als wenn du alte, bekannte Wege einschlägst. Aber da wo die Angst ist, da geht’s lang.
Wenn du noch Fragen hast, kannst du gern über Yanna auf mich zukommen und ich hoffe, dir zum Thema Klinikaufenthalt etwas helfen zu können.“
(Verfasserin bleibt Anonym)
Ich bin dieser jungen Frau, deren Name ich hier aus gewünschten Gründen nicht veröffentliche, so unglaublich dankbar für diesen ehrlichen und offenen Bericht! Ich hoffe du kannst etwas für dich mitnehmen und dass, wenn auch du gerne einen Klinikaufenthalt machen würdest, sie dir hiermit ein wenig Angst nehmen konnte.
meld dich jederzeit bei Fragen oder Anliegen zum Thema Klinikaufenthalt.
Liebe zu dir,
Yanna.
Da wo die Angst ist, da geht’s lang !
♡Toller Bericht, danke fürs Teilen.
Schön das ich dich gefunden habe.
Wir haben uns auf der Kleidertausch Party kennen gelernt.
Liebe Grüße C.
Es freut mich sehr, das er dir gefällt, das gebe ich gerne direkt weiter an die Autorin <3
Das freut mich auch.
Ich erinnere mich 🙂
Ich hoffe wir sehen uns bald mal wieder, diesmal mit mehr Zeit 🙂
Viele Grüße
Yanna